Umfang | 3,5 lfd. m |
Laufzeit | 1820 - 1969 |
Findmittel | Datenbank |
Der Bestand, 3,5 lfd. m., wurde im August 2015 von Jens Göttert, einem Sohn des letzten Miteigentümers, an das Hessische Wirtschaftsarchiv abgegeben. Zuvor waren die Unterlagen von Rolf Göttert betreut worden.
Der Bestand umfasst Unterlagen aus dem Zeitraum 1820 - 1969. Neben Geschäftsbüchern, die bis 1820 zurückreichen, haben sich vor allem Briefe und Urkunden erhalten. Fotografien sind mit drei Ausnahmen nicht überliefert.
1815 gründeten Hofgerichtsrat Peter Heinrich Schmidt, Amtskeller des ehemaligen kurmainzer Amtsbezirks Rüdesheim, zusammen mit Johann Roderich Dilthey (* ca. 1766), der aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie in Münster stammte, die Weinhandlung “Schmidt und Dilthey”. Der aktive Partner des Geschäfts war offenbar Dilthey, der über sehr gute Beziehungen verfügte, die er auf seinen Reisen ständig erweiterte und für seine Geschäfte nutzbringend einsetzte. Nach ermutigenden Anfängen starb jedoch Schmidt bereits nach wenigen Jahren und seine Witwe zog das Kapital aus dem Geschäft ab. Einer von Johann Roderich Diltheys drei Söhnen, Peter Ferdinand Friedrich Dilthey (1792-1875), war nach Abschluss seiner kaufmännischen Lehre im Münsteraner Handelshaus “Gebrüder Metz” seit 1817 bei Schmidt & Dilthey als Handelsreisender tätig und beschloss nun, das Unternehmen auf eigene Rechnung unter der Firmierung “P.F.F. Dilthey” fort zu führen. Johann Roderich Dilthey war mit Auflösung von “Schmidt & Dilthey” zwar als Teilhaber ausgeschieden, unterstützte den Aufbau des neuen Unternehmens jedoch durch die Vermittlung seines Kundenstamms.
Zunächst litt das Unternehmen allerdings unter Kapitalmangel, so dass Dilthey seine Weinkäufe den Winzern nur mit Verzögerung bezahlen konnte und als Angestellte lediglich Lohnküfer beschäftigte. Doch eine vorteilhafte Ehe mit Elisabeth Hertz, der Tochter des wohlhabenden Wiesbadener Bürgermeisters Philipp Reinhard Hertz, die eine Mitgift von 15.000 Gulden in die Ehe einbrachte, stellten Dilthey die Mittel für die Anlage eines Weinlagers zur Verfügung, und er konnte sogar das “Ingelheimsche bürgerliche Haus” als Wohn- und Geschäftshaus erwerben, nachdem er zunächst in einer kleinen Wohnung zur Miete gewohnt hatte.
Von 24.000 Litern im ersten Geschäftsjahr stieg der Umfang im zweiten Jahr 1821 schon sprunghaft auf über 33.000 Liter an und erreichte zwei Jahre später bereits 35.000 Liter. Ein Kredit des Bankhauses Michael Fellner, für den Diltheys Schwiegervater bürgte, ermöglichte 1825 die Erhöhung der Einkaufsmenge auf 100.000 Liter. Um das in der Rüdesheimer Gemeindeordnung festgelegte Importverbot, welches das Unternehmen in den ersten Geschäftsjahren auf den Handel mit Rüdesheimer Weinen beschränkt hatte, zu umgehen, mietete Dilthey in Bingen und Münster[-Sarsheim] Keller an, um auch rheinhessische und pfälzische Weine lagern zu können. Da Münster auf preußischem Gebiet lag, konnten damit gleichzeitig Zollgebühren für den Handel in Preußen eingespart werden.
Wie zu dieser Zeit allgemein üblich wurde der Wein in Ohmfässern (150-160 Liter) gehandelt, während Flaschen lediglich für Proben verwendet wurden. Der Versand ins Rheinland erfolgte zunächst rheinabwärts per Schiff, während Lieferungen in andere Regionen zunächst auf dem Schiffsweg nach Frankfurt a.M. befördert und von dort durch Spediteure auf Fuhrwerken weiter transportiert wurden. Durch die Einrichtung der Dampfschifffahrt auf dem Rhein konnten seit 1828 norddeutsche Kunden über Holland sowie Hamburg oder Lübeck beliefert werden.
Nachdem sich Rüdesheim auch für die Lagerung fremder Waren geöffnet hatte, konnte Dilthey seine Warenpalette mit Weinen von der Mosel, aus Baden, aus Frankreich sowie um die Südweine Madeira und Malaga ergänzen. Das Geschäft nahm einen regen Aufschwung: 1833 wurden mehr als 42.000 Liter Wein umgesetzt, und die vorhandenen Lagerkapazitäten reichten nicht mehr aus. Daher kaufte Dilthey sukzessive die benachbarten Grundstücke auf, bis schließlich die gesamte Fläche zwischen der Großen und Kleinen Niederstraße in seinem Besitz war. 1839 wurde ein zweistöckiger Weinkeller mit 1.040 m² Lagerfläche hinter dem Wohnhaus errichtet, der ein Kelterhaus sowie Gärkeller, Bordeauxkeller, Flaschenkeller, Mousseuxkeller und Fasskeller enthielt. Neben Küfern und einem Fuhrmann beschäftigte das Unternehmen mehrere Reisende. Zudem wurden Kommissionslager in geschäftlich bedeutenden Orten eingerichtet.
1839 trat Ferdinand Diltheys Sohn Theodor Friedrich Ludwig (6.2.1825-22.3.1892) als Lehrling bei P.F.F. Dilthey ein. Nach dem Besuch der Handelsakademie in Brüssel war er als Kontorist und Reisender im väterlichen Betrieb tätig, heiratete am 23.3.1852 Anna Katharina Josepha Marie Sahl (1830-1897), einer Tochter des Hotelbesitzers Georg Adam Sahl. Sahl übergab im gleichen Jahr sein Hotel “Darmstädter Hof” an seine Söhne Adam, Nikolaus und August sowie an seinen Schwiegersohn, der nun auch als Teilhaber bei P.F.F. Dilthey eintrat. Nach dem Rückzug Ferdinand Diltheys aus dem Geschäftsleben übernahmen Theodor Dilthey sowie seine Schwäger Adam, Nikolaus und August Sahl 1859 die Weinhandlung unter der Firmierung “Dilthey, Sahl & Co.”. Bereits 1862 schieden zwei der Sahl-Brüder wieder aus dem Unternehmen aus: Adam führte künftig den “Darmstädter Hof” alleine und Nikolaus machte sich mit einer eigenen Weinhandlung selbständig, so dass Theodor Dilthey und August Sahl nunmehr alleinige Gesellschafter von “Dilthey, Sahl & Co.” waren.
Seit 1866 wurde Dilthey, Sahl & Co. in St. Petersburg von dem Ungarn Etienne von Manziarly vertreten, der seit 1853 als Weinhändler in Russland tätig war und 1862 den Weinkeller von E. Gordon übernommen hatte. Trotz beträchtlicher Umsätze in Höhe von über 60 Millionen Rubel wurde Manziarly bereits 1863 insolvent. Zwar übernahm Dilthey das Weinlager auf eigene Rechnung, geriet aber selbst mit 550.000 Gulden Schulden in Zahlungsschwierigkeiten, als der russische Kunde Graf Wservoloitzky Weinlieferungen im Umfang von 99.000 Goldmark nicht bezahlen konnte und zudem der Weinhandel insgesamt durch den Deutschen Krieg von 1866 weitgehend zusammenbrach. Der völlige Zusammenbruch von Dilthey, Sahl & Co. konnte jedoch vermieden werden, indem das Unternehmen in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien umgewandelt wurde. Das vorhandene große Weinlager im Wert von 78.000 Gulden und die guten Umsätze des Geschäftsjahrs 1867 überzeugten Diltheys Gläubiger von dem Plan, ihre Forderungen gegen Obligationen des neu gegründeten “Rheinischen Actienvereins für Weinbau und Weinhandel Dilthey, Sahl & Co.” einzutauschen - insgesamt 800 Papiere zu 200 Talern/350 Gulden mit einer Laufzeit bis 1897, die mit 8,5 % verzinst wurden. Zusätzlich wurden jährlich elf Papiere ausgelost, die in voller Höhe ausgezahlt wurden, was in sog. “Verlosungsprotokollen” dokumentiert wurde. Theodor Dilthey und sein Schwager August Sahl führten zusammen mit dem dritten Direktor Fritz Klehe gemeinsam die Geschäfte.
Der Umsatz des Unternehmens nahm in den folgenden Jahren einen stetigen Aufschwung und erreichte 1880 411.000 Liter, wobei innerhalb Deutschlands nur etwa 55 % abgesetzt wurde, während die Exporte nach England 22 % und nach Russland 12 % betrugen. Zur Kontaktpflege reiste Dilthey jährlich nach St. Petersburg und Moskau, und wegen der russischen Vorliebe für süßen Sekt wurde der sogenannte “gout russe” mit sehr hoher Likördosage entwickelt.
Neben der geschäftlichen Tätigkeit fand Theodor Dilthey aber noch Zeit für politisches Engagement. Er gründete den Rüdesheimer Handelsverein und war 1865-1867 der erste Präsident der Wiesbadener Handelskammer.
1880 wurde Theodor Diltheys Sohn Johann Ferdinand (1855-1912), der nach dem Abitur die Handelsakademie in Antwerpen besucht hatte, als geschäftsführender Direktor in das Unternehmen aufgenommen. Er widmete sich zunächst vor allem dem Ausbau des Auslandsgeschäfts mit England und Russland, wohin er jährlich Geschäftsreisen unternahm.
Im Jahr 1886 ließ Dilthey ein neues Geschäftshaus erbauen, das mit den neuesten technischen Errungenschaften wie elektrischen Klingeln, Haustelegraph und 1898 auch mit einem Telefonanschluss ausgestattet wurde.
1887 beschloss die Generalversammlung der Gesellschaft, das Kapital durch Zusammenlegung von Aktien auf 61.000 Mark herabzusetzen. 1892, nach dem Tod Theodor Diltheys, betrieb sein Sohn die Umwandlung des Unternehmens in eine GmbH. Nach und nach zahlte er die anderen Geschäftspartner aus, so dass er 1903 schließlich alleiniger Inhaber des Handelsgeschäfts wurde.
Die Umsätze stiegen kontinuierlich an, aber Dilthey fühlte sich angeschlagen und zog sich allmählich aus dem Unternehmen zurück. Bereits 1905 hatte er das neu gebaute Geschäftshaus zu einem äußerst günstigen Preis an die Reichspost verkauft und mit dem Erlös eine Villa in Frankfurt a.M. erworben. Zum 31.8.1909 veräußerte Dilthey die Weinhandlung mit ihren Lagerbestände an Adolf und Bernhard Hoehl, Inhaber der Sektkellerei Hoehl in Geisenheim. Gleichzeitig wurde das Unternehmen in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt.
Die Brüder Hoehl erteilten 1914 dem Chefbuchhalter Adolf Cloeter und dem Kellermeister Philipp Jacob Göttert, der bereits seit 1891 als Kellermeister bei Dilthey Sahl & Co. tätig war, Gesamtprokura für Dilthey, Sahl & Co. Der unmittelbar danach ausbrechende Erste Weltkrieg bedeutete das Ende der Exportgeschäfte. Adolf und Bernhard Hoehl hatten das Handelsgeschäft vor allem wegen seiner guten Geschäftsbeziehungen mit Russland und insbesondere dem Zarenhof erworben und bemühten sich noch während des Kriegs zunächst vergeblich um einen Verkauf. Schließlich entschlossen sich der Prokurist und Kellermeister Philipp Jacob Göttert zusammen mit seinen Söhne Philipp und Fritz (*25.9.1894 in Rüdesheim), der am 1.4.1910 als kaufmännischer Lehrling in das Unternehmen eingetreten war, sowohl das Handelsgeschäft selbst als auch die im Besitz der Witwe Ferdinand Diltheys befindlichen Immobilien und Weinberge zu erwerben. Am 1.5.1917 ging Dilthey, Sahl & Co. in den Besitz der Familie Göttert über.
Auch nach Kriegsende gingen die Geschäfte wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise und der Verarmung der früheren Kunden schlecht. Zwar konnte die Weinhandlung mit der Belieferung von Bahnhofsgaststätten einen neuen Kundenkreis erschließen, doch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden alle Weinbestände der staatlichen Zwangsbewirtschaftung unterworfen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Teilung Deutschlands ging dem Unternehmen erneut ein großer Teil der ehemaligen Kundschaft verloren. 1956 trat mit den beiden Kaufleuten Günther und Rolf Göttert (30.3.1931-15.6.2015) die dritte Generation der Familie als persönlich haftende Gesellschafter ein. 1964 starb Philipp Jacob Göttert.
Die Rahmenbedingungen für den Weingroßhandel hatten sich durch gesetzliche Regelungen für die Kellereiwirtschaft beträchtlich verändert. Darüber hinaus minderten die veränderte Nachfrage bei den Privatkunden, erhöhte Betriebskosten wegen steigender Lohn- und Frachtkosten sowie die wachsende Konkurrenz durch Importweine die Rentabilität des Geschäfts. Daher beschloss die Gesellschafterversammlung am 27.12.1968, die Gesellschaft aufzulösen und den Geschäftsbetrieb zum 31.12.1968 einzustellen.
Rolf Göttert, Aus der Geschichte des Rüdesheimer Weinhandels. Chronik des Rüdesheimer Weinhauses Dilthey, Sahl & Co., in: Schriften zur Weingeschichte Nr. 128, hrsg. von der Gesellschaft für Geschichte des Weines, Wiesbaden 1999.
Handelsregisterakten, Abt. 12, Nr. 449 und HR1 Nr. 164