Abt. 179, Tenovis GmbH & Co. KG

Umfang 4,25 lfd. m
Laufzeit 1896 - 1974
Findmittel Datenbank; Findbuch, bearb. von Ute Mayer, 2005

Geschichte des Bestands

Der Bestand wurde 2004 von der Tenovis GmbH & Co. KG als Depositum an das Hessische Wirtschaftsarchiv übergeben. Er umfasst 4,25 m Akten aus dem Zeitraum 1896 bis 1974. Dabei handelt es sich überwiegend um Verträge, Handelsregisterauszüge, Protokolle, Bilanzen u.ä. der 1935 zur “Telefonbau und Normalzeit Aktiengesellschaft Lehner & Co. KG” (TN) fusionierten Gesellschaften.

Die Bearbeitung erfolgte im Sommer 2004; die Klassifikation des Bestandes orientiert sich am Aktenplan des Unternehmens.

Geschichte des Unternehmens

Am 13. April 1899 gründete der erst 20jährige Kaufmann Harry Fuld (3.2.1879 - 26.1.1932) gemeinsam mit dem Uhrmachermeister Carl Lehner (21.11.1871 - 26.12.1969) in der Liebfrauenstraße 6 in Frankfurt a.M. unter der Firmierung “Deutsche Privat-Telefongesellschaft H. Fuld & Co.” ein Installationsgeschäft für Telefonanlagen, die private Haustelefonanlagen des Fabrikats “Bell Company” mit garantiertem Wartungsservice zur Miete anbot. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Kunden in Deutschland private Haustelefonanlagen, die von lokalen Installationsfirmen vertrieben und montiert wurden, käuflich erwerben müssen, wobei die Folgekosten für die Kunden erheblich waren, da die noch unausgereifte Technik der Anlagen häufige und teure Reparaturen erforderte.

Harry Fuld war der Sohn des bereits 1882 verstorbenen Mitinhabers der Frankfurter Antiquitätenhandlung J. & S. Goldschmidt, Sally Fuld, und seiner Frau Helene geb. Goldschmidt. Nach Beendigung der Schule absolvierte Harry Fuld eine Lehre im Bankhaus J.A. Schwarzschild Söhne, dem sich ein Volontariat im Metallgeschäft Eppenheim & Co. in London anschloss. Nachdem zur Jahreswende 1897/98 deutlich wurde, dass die Familie seinem erhofften Eintritt in das Familienunternehmen nicht zustimmen würde, absolvierte Fuld nach mehreren missglückten Anläufen ein weiteres Volontariat bei der Bank Ettinghausen Jeune in Paris. Mit der Gründung der Deutsche Privat-Telefongesellschaft H. Fuld & Co., die er mit einem Darlehen seiner Mutter über 30.000 Mark finanzierte, griff er ein von seinem Schwager David Cramer nach dem Vorbild der Société de Téléphonie Privée in Brüssel entwickeltes Franchisingmodell auf: Die Frankfurter Muttergesellschaft lieferte Nebenstellenanlagen an neu zu gründende lokal agierende Gesellschaften, die sie zudem konzeptionell und bei der Einarbeitung des Personals unterstützte. Als Gegenleistung führten die “Tochtergesellschaften” einen Teil ihrer Einnahmen aus den Mietverträgen an die Muttergesellschaft ab und gewährten ihr jederzeit Einsicht in ihre Geschäftsbücher.

Der rasche Aufschwung des Unternehmens wurde durch die Nutzung eines bereits bestehenden geschäftlichen Netzwerks ermöglicht, denn die Investoren der neu gegründeten Tochtergesellschaften stammten zumeist wie David Cramer aus der Branche der Hopfenhändler und Bierbrauer und suchten neue Anlagemöglichkeiten. Nach der Konsolidierung seiner Finanzen kaufte Fuld die Tochtergesellschaften sukzessive auf und integrierte sie in den Konzern.

Der geschäftliche Erfolg beruhte jedoch auch auf der Ausrichtung des Angebots an den Bedürfnissen der Kunden sowie der Verwendung hochwertiger Technik, die in Hinsicht auf die Wartungsverträge im eigenen Interesse des Unternehmens lag.

Als erste größere Kunden konnte das Unternehmen die Chemische Fabrik E. Merck in Darmstadt sowie die Frankfurter Stadtverwaltung, das Berliner Polizeipräsidium sowie das Innen- und das Kriegsministerium gewinnen. Der schnell einsetzende kommerzielle Erfolg bestätigte das neuartige Dienstleistungskonzept: Das neue Unternehmen, das zunächst außer den beiden Geschäftsinhabern nur zwei Monteure beschäftigt hatte, konnte zügig expandieren und eröffnete bereits im Jahr nach der Firmengründung Filialen in Köln, Mannheim, München und Nürnberg, ein Jahr später auch in Leipzig, Dresden, Hamburg, Breslau, Berlin und Straßburg. Auch die zum 31.1.1900 erfolgte Freigabe des Netzes der Reichspost für den Anschluss privater Telefonanlagen förderte den Aufschwung des Unternehmens.

Da die Qualität der zunächst von der Bell Company in Antwerpen bezogenen Geräte sich bald als unzureichend herausstellte, wurde 1901 zur eigenen Herstellung von Nebenstellen-Apparaten die “Telefon- und Telegraphenbau GmbH” als eigenständige Tochtergesellschaft gegründet. 1902 entwickelte Carl Lehner den Druckknopf-Linienwähler für die Reihenschaltung von Nebenstellen-Telefonen.

Ebenfalls im Jahr 1902 verlegte das Unternehmen seinen Sitz in größere Räumlichkeiten in der Vilbelergasse 29, da die bisherigen Geschäftsräume in der Liebfrauenstraße und die Werkstätten in der Schäfergasse 10, die zu diesem Zeitpunkt bereits 150 Mitarbeiter beschäftigten, zu eng geworden waren. Als die Zahl der Arbeiter 1907 auf 250 angewachsen war, zog das Unternehmen in ein noch größeres Gebäude in der Mainzer Landstraße 193 um. Schließlich wurden 1912 eigene Gebäude in der Mainzer Landstraße 136-140 in der Nähe des Güterplatzes erworben. Ein Jahr später kam mit der Herstellung und Vermietung ferngesteuerter elektrischer Großuhren ein weiterer Geschäftszweig hinzu.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendete diese positive Entwicklung abrupt: Das Unternehmen musste seine Produktion zunächst auf Koppelschlösser und Kochgeschirre, später auch auf Granatzünder umstellen. Die später erlangten Aufträge im Volumen von 27 Millionen Reichsmark für die Lieferung von Feldfernsprechern konnten die massiven Umsatzeinbußen im zivilen Bereich jedoch nicht ausgleichen.

Zum 31.10.1918 firmierte das Unternehmen in “H. Fuld & Co. Telephon und Telegraphenwerke” um. Die technische Leitung übernahm Carl Lehner, der 1926 auch Vorsitzender des Vorstands wurde. Obwohl die bestehenden langfristigen Mietverträge durch die Inflation der Nachkriegsjahre entwertet wurden, verlief die Geschäftsentwicklung in den 1920er Jahren bis zur Weltwirtschaftskrise zunächst günstig, so dass der Konzernumsatz des Jahres 1927 den des letzten Friedensjahres vor dem Ersten Weltkrieg um 45 Prozent übertraf. In diese Zeit fielen auch technische Neuerungen wie das 1922 eingeführte Drehwähler-Automatensystem sowie die Einführung einer Mehrplatz-Fernsprecheinrichtung für den Devisenhandel ohne Zwischenvermittlung im darauf folgenden Jahr und von Stangenwähler-Automatenzentralen 1926.

Den Plänen zur Verlegung von Firmensitz und Hauptwerk von Frankfurt a.M. nach Berlin begegnete die Stadt Frankfurt, die den Ausfall von Gewerbesteuer-Einnahmen und den Verlust von Arbeitsplätzen verhindern wollte, mit dem Angebot zum Erwerb eines großen Grundstück in der Höchster Straße, der heutigen Kleyerstraße, zu sehr günstigen Bedingungen.

Mit der Gründung der Elektra Versicherungs-AG wurde der Konzern 1928 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Im Jahr 1932 - dem Todesjahr Harry Fulds - zählte der Konzern 5.000 Mitarbeiter, von denen 1.000 in Frankfurt a.M. beschäftigt wurden. 1933 firmierte das Unternehmen in “Nationale Telefon- und Telegraphenwerke” um, ohne jedoch mit der Namensänderung als “nichtarischer Betrieb” politische Repressalien verhindern zu können. 1935 mussten alle jüdischen Gesellschafter und fast 1.500 Mitarbeiter jüdischer Herkunft den Konzern verlassen, um einen Boykott der öffentlichen Auftraggeber zu verhindern.

1935 fusionierte das Unternehmen mit einer Reihe von Gesellschaften, zu denen u.a. die “Elektrozeit GmbH” und die 1919 gegründete “Elektrozeit AG”, beide mit Sitz in Frankfurt a.M., gehörten und firmierte seither unter “Telefonbau und Normalzeit Aktiengesellschaft Lehner & Co. KG” (TN). Zu den bedeutendsten Aktionären zählten u.a. der Firmengründer Carl Lehner, der auch den Vorsitz des Präsidiums der Gesellschaftsvertretung übernahm, mit 28 Prozent der Anteilen sowie dessen Söhne Karl Ludwig und Fritz. Nach dem Erwerb einer Beteiligung durch Julius und Hans Thyssen im Jahr 1941 übernahm Friedrich Sperl die Geschäftsführung bis zu seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen Ende 1965.

Nachdem im März 1944 das Hauptwerk in der Mainzer Landstraße vollständig und das Werk in der Kleyerstraße größtenteils durch Fliegerangriffe zerstört worden waren, nahm das Unternehmen nach dem Kriegsende einen raschen Aufschwung, der sich nach der Währungsreform verstärkte. 1950 erlangten die Erben Fulds ihre verlorenen Rechte zurück, ein Jahr später schied Carl Lehner aus dem Unternehmen aus.

1965 beschäftigte die “Vertriebsgesellschaft Telefonbau & Normalzeit Lehner & Co.” 6.300 Mitarbeiter, die von Carl Lehners Sohn Fritz geleitete Produktionsgesellschaft TN GmbH sogar 7.200 Personen. Obwohl der Konzern einen Stamm von 150.000 Miet- und Wartungskunden besaß und sich der Umsatz der 500 Millionen DM-Marke näherte, stimmte die Gesellschafterversammlung im Mai 1968 einer 15prozentigen Beteiligung von AEG-Telefunken zu, um das für die Umstellung von elektromechanischer zu elektronischer Vermittlung erforderlicher Kapital aufzubringen.

Zum Ende des Jahres 1981 gründeten AEG-Telefunken, die ihre Beteiligung allmählich auf insgesamt 41 Prozent erhöht hatte, zusammen mit Bosch die “Telenorma-Beteiligungsgesellschaft”, in die die AEG ihren TN-Anteil als Minderheitsbeteiligung und die Bosch Telecom GmbH in Stuttgart 75,5 Prozent des Kapitals einbrachte.

Bis Ende 1987 übernahm Telenorma sämtliche Anteile der ehemaligen Gesellschafter der TN und Bosch die der AEG-Beteiligung. Zu diesem Zeitpunkt zählte TN über 17.000 Mitarbeiter und setzte über zwei Milliarden D-Mark um.

Die 1970er und 1980er Jahre brachten für das Unternehmen die Umsetzung technischer Neuerungen, wie die Inbetriebnahme der ersten vollelektronischen Nebenstellenanlage, die Einführung von Text- und Datenkommunikation über Nebenstellenanlagen sowie die Einführung von Solar-Uhrenanlagen.

Nachdem die Bosch Telecom GmbH den Geschäftsbereich Telenorma an die private New Yorker Equity Firm Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) verkauft hatte, firmierten seit dem 1.4.2000 die Kernbereiche des Ursprungsunternehmens als “Tenovis GmbH & Co. KG”. Ende des Jahres 2004 kaufte Avaya Inc. das Unternehmen, das seither als “Avaya Tenovis GmbH & Co. KG firmiert.

Literatur

Edgar Gärtner, Hintergrundinformationen [zur Geschichte der Tenovis GmbH & Co. KG], o.J.

“Carl Lehner”, in: Frankfurter Biographie, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1994.