Umfang | 182 lfd. m |
Laufzeit | |
Findmittel | Datenbank (soweit verzeichnet) |
Die Industrie- und Handelskammer Gießen übergab ihre Altakten im Umfang von 97,5 Regalmetern aus Gründen mangelnder Lagerungskapazität im Jahr 1984 als Depositum an das Hessische Staatsarchiv Darmstadt. Dort wurden die Akten umgebettet und auf Karteikarten vorläufig verzeichnet. 1994 gab das Staatsarchiv die Unterlagen an das Hessische Wirtschaftsarchiv ab. Die ursprüngliche Karteikartenverzeichnung wurde seitdem sukzessive in die Datenbank des HWA übertragen und im Zuge dessen erfolgte zusätzlich eine Tiefenerschließung. Ergänzt wurde der Bestand durch verschieden Ablieferungen der IHK Gießen. So wurden 1995 ca. sieben Regalmeter Firmenakten aus den Jahren 1924 bis 1945 übernommen. 2010/2011 kamen weitere Firmen- und Sachakten hinzu.
Das Altarchiv der IHK Gießen repräsentiert den einzigen vollständig erhaltenen Aktenbestand einer Handelskammer auf dem Gebiet des ehemaligen Großherzogtums bzw. Volksstaates Hessen. Es ist deshalb nicht nur für die Geschichte der hessischen Kammern von großem Interesse, sondern auch, angesichts der großen Verluste des Staatsarchivs Darmstadt an wirtschaftsgeschichtlich relevantem Schriftgut aus der Zeit zwischen 1871 und 1945, für die Wirtschaftsgeschichte Hessens im Allgemeinen und der Provinz Oberhessen im Besonderen von zentraler Bedeutung.
Der Altbestand bietet eine breite Überlieferung des gesamten Aufgabenspektrums der Kammer. Die Überlieferung setzt vereinzelt bereits im Jahr 1864, also vor der eigentlichen Gründung der Handelskammer, ein. Neben Unterlagen zur Kammergeschichte und deren inneren Verhältnissen, sind Unterlagen zum Rechnungswesen, zur Auskunftstätigkeit der Kammer oder Jahresberichte dokumentiert. Konkret existieren beispielsweise neben Akten zu verschiedenen Rechtsthemen sowie zur Tätigkeit der Kammer auf dem Gebiet der Binnen- und Außenwirtschaft auch Unterlagen zur Arisierung oder zur Kriegswirtschaft während der NS-Zeit. Zudem sind auch Beziehungen zu anderen Vereinigungen und Verbänden dokumentiert. Exemplarisch sind hier Akten über die Zusammenarbeit mit anderen Hessischen Kammern oder auch Unterlagen zum und vom Deutschen Industrie- und Handelstag und seinen Vorgängerorganisationen zu nennen. Für die Überlieferung nach 1945 bis zur Fusion der IHK Gießen mit der IHK Friedberg weist der Bestand allerdings große Lücken auf. Aus dieser Zeit sind überwiegend Firmenakten überliefert. Seit dem Beginn der 1970er Jahre lassen sich zudem schwerpunktmäßig Unterlagen zu verschiedenen Abschlussprüfungen nachweisen. Die Altakten aus der Abgabe des Staatsarchivs und die Firmenakten sind vollständig verzeichnet. Unverzeichnet sind derzeit noch ca. 55 lfm. Sachakten aus den Jahren 1950-1990.
Die Gründung der Handelskammer Gießen erfolgte am 19.02.1872 auf Grundlage des am 17. November 1871 in Kraft getretenen "Gesetzes, die Handelskammern betreffend". Die zuständige Aufsichtsbehörde war das Großherzoglich Hessische Ministerium der Justiz. Der Vorsitzende und der Stellvertreter wurden von den Mitgliedern gewählt. Bereits mit Wirkung vom 01.01.1900 wurde die Stadtkammer um die Kreise Gießen, Alsfeld und Lauterbach erweitert und gleichzeitig die Zahl der Mitglieder erhöht. Mit der Verabschiedung des Grzhz. Hess. HandelskammerG am 06.08.1902 erhielten die Kammern erstmals den Status einer juristischen Person und wurden nach dem heutigen Verständnis eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. Auch das Aufgabenspektrum erweiterte sich. Neben den Beratungsaufgaben gehörten u. a. die Mitwirkung an den Handelsregistern oder auch die Bestellung von Revisoren zur Prüfung des Gründungshergangs von Aktiengesellschaften sowie das Vorschlagsrecht bei der Ernennung von Handelsrichtern von nun an zum Tätigkeitsfeld der Kammern. Bis zum Ende der Weimarer Republik wurde das Handelskammerrecht nicht grundlegend reformiert, obwohl es Forderungen nach einem Reichsrahmengesetz gab.
Im Volksstaat Hessen trat am 25. Juni 1925 eine Novellierung des Hessischen Handelskammergesetzes in Kraft, das im Wesentlichen drei Änderungen für die Kammern direkt enthielt. Zum einen bekamen die Kammern nun die Bezeichnung "Industrie- und Handelskammern". Zum anderen wurde den Frauen das passive und aktive Wahlrecht zugestanden. Schließlich wurde die Wahlberechtigung auf alle im Handelsregister eingetragenen Unternehmen ausgeweitet. In der Zeit des Nationalsozialismus begann ein ideologisch motivierter Umbau der Kammern nach dem "Führergrundsatz". Sowohl der Vorsitzende als auch dessen Stellvertreter wurden nicht mehr gewählt, sondern vom Reichswirtschaftsminister ernannt. Die zuständige Aufsichtsbehörde war von nun an das Reichswirtschaftsministerium (Verordnung über die Industrie- und Handelskammern vom 20.08.1934). Die Handelskammergesetze der Länder bildeten aber weiterhin prinzipiell die Rechtsgrundlage. Mit der Zweiten Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Vereinfachung der Gewerblichen Wirtschaft wurde die IHK Gießen mit Wirkung zum 20. April 1942 aufgelöst und ging in die Gauwirtschaftskammer Rhein-Main über.
Mit Ende des Zweiten Weltkrieges wurden nach Bekanntmachung des Groß-Hessischen Staatsministeriums am 20. Dezember 1945 die meisten Organisationsformen des nationalsozialistischen Wirtschaftsaufbaus aufgelöst. Die Aufgaben der Gauwirtschaftskammern sollten auf die IHKn übergehen und die Organisation der Kammer gesetzlich neu geregelt werden. Seit dem Runderlass über die Neuregelung der Organisation der Industrie- und Handelskammern in Hessen vom 1. Dezember 1946 wurden die hessischen IHKn anerkannt. Sie konnten sich nun als privatrechtlicher Verein mit freiwilliger Mitgliedschaft neu konstituieren, verloren aber ihren Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. Dezember 1956 erhielt auch die IHK Gießen wieder ihren Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Folgezeit ist geprägt von der Wahrnehmung der Wirtschaftsinteressen der Region. Aufgrund des steigenden Rationalisierungsdrucks fusioniert schließlich die IHK Gießen mit der IHK Friedberg zum 1. April 1999, was gleichzeitig das Ende der IHK Gießen markiert.
1872 - 1874 | Georg Carl Gail |
1875 - 1880 | Meyer Homberger |
1881 - 1888 | Eduard Silbereisen |
1889 - 1909 | Fritz Karl Benjamin Koch |
1910 - 1919 | Siegmund Heichelheim |
1920 - 1930 | Heinrich Schirmer |
1930 - 1933 | Ludwig Rinn |
1933 - 1938 | Carl Johann Erasmus Pauly |
1938 - 1942 | Erich Schroth |
1942 - 1946 | Carl Schirmer |
1946 - 1953 | Ludwig Rinn |
1953 - 1959 | Ernst Bleyer |
1959 - 1961 | Karl Wilhelm Poppe |
1962 - 1963 | Otto Winterhoff |
1963 - 1970 | Walter Dürbeck |
1971 - 1999 | Franz Vogt |
1999 - 2002 | Fritz Hartmut Ulrich (IHK Gießen-Friedberg) |
2002 - 2014 | Wolfgang Maaß |
seit 2014 | Rainer Schwarz |
100 Jahre IHK Gießen 1872-1972. Jubiläums-Sonderausgabe der IHK Mitteilungen September 1972.